Radler ist kein Alkohol

„Radler ist kein Alkohol…“ erschallt es zur Melodie von „Ja, wir sind mit dem Radl da“ urplötzlich am Trauf der Schwäbischen Alb und bringt die neun Mitglieder des Tennisclub Rutesheim zum Lachen. Urheber der musikalischen Quelle ist Rainer, der dies als Antwort bereit hält, als die Frage aufkommt, ob man vielleicht am Uracher Wasserfall Kiosk ein Radler trinken könnte. Früh am Sonntagmorgen, gefühlt beim ersten Hahnkrähen, finden sich die neun Wanderer beim Parkplatz des TCR ein. In Corona-konformer Fahrgemeinschaft geht es zum Uracher Wasserfallparkplatz. Um zehn Uhr startet der Wandertrupp dort mit der ersten Etappe – einem kurzen, steilen Anstieg, der jedoch schnell in einen breit geschotterten Weg führt. An der Gabelung von Hohenurach und Wasserfall biegt der Trupp ab und wandert durch das Seltbacher Tal. Erste Zweifel kommen auf, ob es der richtige Weg ist. Schließlich stand in der Tourbeschreibung, dass über 280 Höhenmeter bezwungen werden müssen. Wenig später findet der steile Aufstieg dann tatsächlich statt. Er führt über kleine Trampelpfade durch dichte Buchenwälder hinauf – steil hinauf. Auf halbem Weg ertönen die Posaunen der sonntäglichen Turmbläser und begleiten den Wandertrupp eine Weile. Über schmale Zickzackwege an steil aufragenden Felswänden vorbei, kämpft sich die Truppe auf stattliche 715 Meter hinauf. Am Hanner Felsen machen die Tennisspieler Rast und genießen die herrliche Aussicht auf den Stadtkern des mittelalterlichen Bad Urach. Wie kleine Modelleisenbahn-Häuser reihen sich die alten Fachwerkgebäude auf dem Marktplatz aneinander. Sternförmig laufen die Straßen auf den mittelalterlichen Markplatz zu. Kaum zu glauben, dass sich vor ungefähr 200 Millionen Jahren dort noch Meeresgetier getummelt hat und bunte Korallen im tropischen Ozean beheimatet waren. Ein paar Williams und etliche belegte Brötchen später geht es frohgemut weiter. Selbst als der 50/50-Joker eingesetzt wird, um zu sehen, welcher Weg eingeschlagen werden muss, gibt es nur gutmütige Frotzeleien. Auch Volker bleibt nicht verschont. Seine Sonntagsschuhe verteidigt er eifrig und läuft frohen Mutes weiter. Wer diese allerdings am Ende putzen muss, bleibt offen. Immer wieder lichtet sich der Wald und gibt spektakuläre Blicke auf die Täler frei, die Urach umgeben. Nur der Hohenurach hüllt sich in feuchten Nebel. Verschwommen erahnt man die Silhouette der uralten Burg. Der Weg geht weiter. Immer am Albtrauf entlang. Mystisch mutet es an, wie die Nebelschwaden zwischen den alten Buchen hängen. Wäre nun ein Elf aus „Herr der Ringe“ erschienen, hätte dies keinen der Tennisspieler verwundert. Der Albtrauf, die nordwestliche Steilstufe der Schwäbischen Alb, überragt das Albvorland an manchen Stellen um 300 Meter. Der Weiße Jura dieser Stufe besteht aus reinem Calcit. Diese sogenannten Massenkalke trotzten der Jahrmillionen langen Verwitterung und Erosion. In einem langen Prozess arbeiteten sich wunderschöne und natürliche Aussichtsplattformen heraus. Ein paar hundert Millionen Jahre später steht nun der TCR auf diesen Steinplattformen und schaut ins Brühltal hinab. Kurze Zeit später muss Steffen seinen digitalen Freund zu Hilfe rufen. Die Wege sehen aber auch alle gleich aus. Zwar führen bekanntlich alle Wege nach Rom, aber da will man ja nicht hin – sondern nur zum Eppenzill-Felsen. Dem Himmel sei Dank für die moderne Technik. Der Felsen steht noch da, wo er sein soll. Ein neuer Blickwinkel ins Tal. Erneut wunderschön. Die majestätische Landschaft strahlt Kraft und Ruhe aus. Zeit zum Innehalten. Das Rauschen des Wasserfalls ist von hier bereits zu hören. Sehen kann man ihn nicht; zu dicht ist das bunte Laub der alten Mischwälder. Auch die Rutschenfelsen sind nun zum Greifen nah. Der weiße Kalkstein hebt sich imposant von den Wäldern ab. Es geht weiter. Kurze Zeit später knackt die Gruppe die Zehn-Kilometer-Marke und erreicht den nächsten Aussichtspunkt. Freie Sicht auf den Hohenneuffen. Auch die Sonne hat nun Erbarmen und wärmt angenehm den Rücken. Ein paar Erinnerungsfotos später beginnt der Abstieg zum Wasserfall. Dort wird das erste Hefeweizen getrunken, da Radler ja bekanntlich kein Alkohol ist. Glückliche Gesichter, vor allem bei den drei Frauen. Die genießen ihren Prosecco und machen schön „Stößchen“ mit den Biergläser-Besitzern. Gönnerhaft gibt Chris eine Runde Kaminwurz aus, gleich mit einem brauchbaren Tipp in petto, wie die richtige Lagerhaltung selbiger stattfinden sollte. „Ha, so an Scheiß!“, ruft Reinhold von der Seite. „Ond i hab mei guta Gammsbock Wurscht weggschmissa. Hab dacht, dass se schimmlig isch, drbei wars nur Salz.“ Er schüttelt über sich selbst den Kopf, nimmt einen großen Schluck Hefeweizen und grinst in die gesellige Runde. Schon kommt der nächste Tipp auf den Tisch. „Altes Brot in hauchdünne Scheiben schneiden und trocknen lassen“, meint Karin. Das sei ganz wunderbar. Schade, dass keine auf dem Tisch stehen. Der Abschied fällt schwer, aber trotzdem ist es Zeit, den Rückweg anzutreten. Noch ein paar Bilder vom Wasserfall – dem touristischen Highlight von Urach – und weiter geht es auf dem „Grüß-Gott-Weg“ immer am Brühlbach entlang. Bei den Autos angelangt, entscheidet sich die Gruppe noch ganz spontan, die Altstadt von Urach aufzusuchen. Die Amanduskirche wird von innen besichtigt, das Residenzschloss von außen. Das mittelalterliche Rathaus findet ebenfalls Anklang bei der Gruppe und manch einer der Tennisfreunde bedauert, dass Rutesheim nicht solch einen schönen Marktplatz hat. Der gesellige Abschluss findet bei Kadri im TCR Restaurant statt. Unisono die Meinung, dass es ein schöner Tag gewesen sei, auch wenn sich die Sonne nicht von ihrer besten Seite gezeigt hat.

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